Unsere heutige Unternehmenskultur beruht auf einer scharfen Trennung der Arbeitsleistung von den Entscheidungen, welche jener zugrunde liegen. Gewöhnlich sind es die “Arbeitsleiter”, Vorgesetzte verschiedener Grade und Funktion, welche für die eigentlichen “Arbeitsleister” maßgebliche Entscheidungen fällen, auf deren Grundlage die letzteren ihre Tätigkeit ausüben. So wird die interne Auftragsvergabe vom Teamleiter oder Abteilungsleiter besorgt, Gehaltsregelungen werden an höherer Stelle entschieden, Anstellungen und Kündigungen werden nicht im Kreis der Betroffenen, sondern ebenfalls an übergeordneter Stelle vorgenommen, dasselbe gilt für Dienstpläne, Umstrukturierungen, Investitionen usw.
Mit diesem Prinzip des Verhältnisses von Arbeitsleitung zu Arbeitsleistung wurden gute und schlechte Erfahrungen gemacht. Es prägt bis heute weitgehend unumstritten unsere Unternehmenskultur.
Der selbstorganisierte Betrieb zeichnet sich dadurch aus, dass er nach einem anderen Prinzip verfährt. Die Arbeitsleitung wird – je nach Aufgabe und Umfang verschieden – durch die Gesamtheit der die Arbeit Leistenden vollzogen. Im Hinblick auf die Entscheidungsbildung gibt es dabei unterschiedlich praktizierte Ansätze.
Der eine setzt an die Stelle der hierarchischen Entscheidungsbildung den Mehrheitsbeschluss im Team, in der Belegschaft usw. Die Zuständigen, ob sie nun für oder gegen die mehrheitlich beschlossene Lösung gestimmt haben, setzen hernach die gefällten Beschlüsse um.
Ein anderer Ansatz beruht auf der Erfahrungstatsache, dass Aufgaben aller Art am besten wahrgenommen werden, wenn Engagement, Motiviertheit und je nach Aufgabenstellung spezifischer Sachverstand, soziales Geschick, organisatorisches Talent, Erfahrung, oft auch Kreativität und Phantasie, möglichst hoch sind. Dementsprechend werden Aufgaben an Kollegen vergeben, die sich durch die genannten Voraussetzungen auszeichnen. Ein leitender Gedanke dabei ist, dass der Einzelne oder die Kleingruppe Entscheidungen für die Gesamtheit der Betroffenen besser herbeiführen werden als eine anonyme und wechselnde Mehrheit von Entscheidungsträgern. Die Delegierten oder Mandatsträger, welche eine Entscheidung vorbereiten und fällen, sind sich der übertragenen Verantwortung und des in sie gesetzten Vertrauens anders und konkreter bewusst als die Angehörigen einer Entscheidungsmehrheit. Sie werden in der Regel ein Interesse an einer angemessenen Beschlussfassung haben, sich zielorientiert einsetzen und nach bestem Vermögen die Interessen derer berücksichtigen, für die sie ihre Arbeit tun. Zudem sind sie als Individuen einschätzbare Partner, deren Leistungsvermögen beurteilt und denen auf ein gewisses Vertrauen entgegengebracht werden kann.
Ein derartiges Vorgehen mit hoher Entscheidungskompetenz Einzelner eignet sich für die Durchführung unterschiedlichster Aufgabenstellungen in Teams, Betrieben oder Organisationen. Anders als im Fall von “oben” nach “unten” vollzogener Entscheidungen wird die Entscheidungsbildung in dieser Form mit hoher Transparenz und Nachvollziehbarkeit stattfinden müssen, um von den “Auftraggebern” des eigenen Teams oder Betriebes mitgetragen zu werden.
Die folgenden Fälle bilden Beispiele für das Geschilderte:
• Eine Dreiergruppe übernimmt für ein größeres Team die Aufgabe der Anstellung neuer Kollegen.
• Auf der Grundlage einer vereinbarten Gehaltsordnung trägt eine Kollegin die Verantwortung über Gehaltserhöhungen, Abzüge sowie über die Einstiegsgehälter neuer Kollegen.
• Zwei Teammitglieder treffen die Entscheidung darüber, welche eingehenden Aufträge welchen ihrer Kollegen übertragen werden, einschließlich ihrer selbst.
• Ein einzelner Kollege erstellt den Dienstplan für das gesamte Team.
In allen Fällen fallen Verantwortung für die Durchführung der Aufgabe und Entscheidungsbefugnis zusammen. Dies ist weder im klassischen Unternehmen der Fall noch bei Mehrheitsentscheidungen, die anschließend von den Zuständigen umgesetzt werden.
Nothart Rohlfs